Leben mit sozialer Phobie / Ausbildung und erste Beziehung

Nach dem Studium war ich auf meinem bisherigen Tiefpunkt angekommen. Die nächsten Jahre waren ebenfalls eine Achterbahnfahrt. Meine soziale Phobie hat mich auch weiterhin durch mein Leben begleitet.

Nach dem Studium habe ich mich entschlossen, dass es für mich der richtige Weg ist, eine Ausbildung zu beginnen. Ich habe das Studium nicht nur wegen psychischen Problemen abgebrochen, sondern war auch an einem Punkt angekommen, an dem lieber im Berufsleben aktiv werden wollte. Mein Studium war im Bereich Wirtschaftsinformatik. Ich wollte einen Beruf in der IT-Branche ausüben. Meine Wahl ist mir nicht schwer gefallen. Ich habe während meiner Schulzeit schon viel über das Thema Programmieren gelernt und hatte daran immer Spaß. Daher habe ich mich für eine Ausbildung als Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung entschieden und mich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz gemacht. Bewerbungen zu schreiben ist mir nicht schwer gefallen. Ich habe diverse Firmen angeschrieben und wurde auch zu einigen Vorstellungsgesprächen eingeladen.

Meine Ängste wurden dann erst bei den Vorstellungsgesprächen problematisch. Ich denke jeder wird bei solchen Gesprächen eine gewisse Nervosität entwickeln. Bei mir war diese Nervosität aber um ein vielfaches schlimmer und von den zuvor angesprochenen körperlichen Problemen begleitet. Während der Nervosität noch mit den körperlichen Problemen klar zu kommen und sich dadurch die ganze Zeit darüber Gedanken zu machen ob man sich damit lächerlich macht, war eine Herausforderung. Die ersten Gespräche liefen dennoch eigentlich gut für mich. Ich habe zwar einige Absagen erhalten, habe die Gespräche aber dennoch gut überstanden ohne dabei das Gefühl gehabt zu haben, dass ich mich lächerlich gemacht habe.

Nach einigen Gesprächen hatte ich einen Einstellungstest bei der Firma, bei der ich später die Ausbildung gemacht habe. Der Test lief nur teilweise gut, da ich Probleme bei ein paar Aufgaben hatte. Dennoch wurde ich nach einiger Zeit zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Gespräch lief gut und eine Stunde später wurde mir bereits mitgeteilt, dass ich dort eine Ausbildung beginnen kann und bis zur Ausbildung ein Praktikum bei der Firma machen kann. Für meine psychische Gesundheit war dies sehr gut, da ich mir sehr viele Sorgen um die Zukunft gemacht habe und befürchtet habe nicht mehr rechtzeitig einen Ausbildungsplatz zu finden.

Mein Praktikum begann einige Wochen später. Dort habe ich mich das erste Mal mit der neuen Programmiersprache beschäftigt, mit der ich zukünftig arbeiten würde. Ich hatte zuvor mit einer ähnlichen Programmiersprache gearbeitet und kam daher ganz gut damit zurecht. Die größere Herausforderung war natürlich, dass ich in einer völlig fremden Umgebung mit sehr vielen neuen Menschen zurechtkommen musste. Meine Mitarbeiter waren aber alle sehr nett. Ich habe zwar zu dieser Zeit noch nicht viel mit den anderen Mitarbeitern geredet, habe mich aber dennoch dort Wohl gefühlt und hatte keine Angst während ich dort gearbeitet habe. Das war für mich zu dem Zeitpunkt ein Zustand mit dem ich sehr gut Leben konnte. In der Zeit des Praktikums musste ich noch einige typische Aufgaben machen, die man gerne an Praktikanten gegeben werden, wie z.B. sortieren von Unterlagen, Botengänge und ähnliches.

Während dem Praktikum habe ich online meine damalige erste Freundin kennengelernt. Ich war zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt und hatte zuvor noch nie Interesse an einer Partnerschaft gezeigt, aber zu dieser Zeit wollte ich nicht mehr alleine sein und mich überwunden die Suche nach nach einem Partner anzugehen. Wir haben uns dann nach einigem hin- und herschreiben getroffen. Dies war damals eine große Herausforderung, da mein Kopfkino natürlich wieder übermäßig aktiv war und ich mir wieder alle möglichen negativen Dinge vorgestellt habe, die passieren könnten.

Nach dem ersten Treffen war uns sehr schnell klar, dass wir uns noch einmal treffen wollen und daraus ist dann meine erste Beziehung entstanden. Diese hat mich vor einige neue Herausforderungen gestellt. Wir musste ca. eine Stunde zueinander fahren. Damit nicht eine Person immer die weite Strecke auf sich nehmen muss, haben wir uns abwechselnd bei einander getroffen. Die Wochenenden haben wir abwechselnd bei ihr und dann bei mir verbracht. Zu dieser Zeit war ich es nicht gewohnt die Nacht bei jemand anderem zu verbringen. Der weite Weg mit dem Auto war ebenfalls eine Herausforderung. Damals war mir dies alles aber egal, da ich zu dieser Zeit sehr glücklich war.

Die soziale Phobie hat aber leider dafür gesorgt, dass ich einige Fehler in der Beziehung gemacht habe, an der im Endeffekt erst Ich und dann die Beziehung zerbrochen sind. Ich war zu dieser Zeit immer nur darauf aus Streit zu vermeiden und habe sehr viele meiner eigenen Interessen zurückgestellt. Ich habe viele Dinge aufgegeben, die ich gerne gemacht habe, damit die Beziehung funktioniert hat. Die Angst vor Ablehnung und wieder alleine zu sein, war damals zu groß. Ich habe zu dieser Zeit lieber Teile von mir selbst aufgegeben, um dieses „Glück“ aufrecht zu erhalten. Die Quittung dafür habe ich dann nach einiger Zeit erhalten, aber dazu später.

Nach drei Monaten habe ich dann meine Ausbildung angefangen. Im Praktikum habe ich mir schon einiges selbst beigebracht. In der Ausbildung musste ich mir weiterhin sehr viel selbst beibringen. Ich hatte zudem Zeitpunkt erwartet, dass ich dort in regelmäßigen Abständen Aufgaben zugeteilt kriege, anhand denen ich lernen kann. Zu dieser Zeit war es aber eher so, dass ich immer wieder sehr stark nachhaken und nachfragen musste, weil mir sonst irgendwann keine Aufgaben mehr gegeben wurden.

Zu diesem Zeitpunkt war ich aber motiviert genug um mich in Zeiten, in denen ich keine Aufgaben hatte, selbst darum zu kümmern, dass ich dazulerne. Ich habe mir eigene Aufgaben ausgedacht oder im Internet rausgesucht und meine eigenen Projekte aufgebaut. Das ist zwar eigentlich nicht Sinn der Sache in einer Ausbildung, aber ich musste entsprechend auch dafür Sorgen, dass ich diese Programmiersprache erlerne. Ich war froh, dass ich überhaupt einen Ausbildungsplatz hatte und konnte auch auf diesem Weg dazulernen.

Da wir während der Ausbildung auch regelmäßig Berufsschule hatten, konnte ich zumindest dort über den Unterricht lernen. Die Berufsschule brachte wieder die Herausforderungen der Schulzeit mit sich. Der Unterschied zu früher war, dass ich es dort zumindest mit Erwachsenen Menschen zu tun hatte. Ich war zwar immer noch sehr still, hatte aber nicht mehr so starke Probleme wie früher. Mir ist es zu dieser Zeit zumindest leichter gefallen, öfters auch Mal mit anderen Mitschülern zu reden. Meine Noten waren immer gut und ich hatte keine Probleme gute Leistungen zu bringen.

Mein Leben verlief zu diesem Zeitpunkt sehr gut. Ich hatte eine glückliche Beziehung, meine Ausbildung lief gut und mir ging es psychisch gut. Ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht wahrgenommen, dass ich mich zu sehr angepasst habe. Wir sind zusammengezogen, als ich im dritten Lehrjahr war und am Anfang lief das auch gut. Ich war sehr zufrieden damit und war der Meinung, dass dies der richtige Schritt war. Zu diesem Zeitpunkt waren wir gerade 2,5 Jahre zusammen waren.

Durch das Zusammenleben haben wir natürlich viel mehr Zeit miteinander verbracht. Während dieser Zeit habe ich noch mehr auf Sachen verzichtet, die mir wichtig waren. Wir hatten zunehmend mehr Streit. Mir ging es mit der Zeit zunehmend schlechter und meine sozialen Probleme wurden schlimmer. Da ich mich im Umgang mit anderen Menschen sowieso schon schwer getan habe und dies damals noch schwerer wurde, führte dies dazu, dass meine Partnerin mir mitgeteilt hatte, dass ich sie immer gegenüber ihren Freundin immer blamieren würde.

Mit der Zeit ging es mir psychisch immer schlechter. Ich wurde Antriebslos und meine Stimmungen wurden immer schlechter. Ich musste immer wieder weinen, obwohl ich nicht einmal genau wusste warum. Irgendwann wurden mir dann Depressionen diagnostiziert. Diese haben uns immer weiter auseinander gebracht, da meine Partnerin damit nicht zurechtgekommen ist. Wenn ich die Situation heute betrachte, kann ich ihr auch keinen Vorwurf machen.

Ich hätte damals nicht so bedürftig sein dürfen und hätte für meine eigenen Interessen einstehen sollen. Es hätte mir egal sein sollen, ob ich meine Partnerin dadurch verärgere. Ich hätte keine Angst davor haben sollen sie dadurch zu verlieren und selbst wenn dies dadurch passiert wäre, hätte ich es akzeptieren müssen. Der Höhepunkt meine Probleme und der absolute Tiefpunkt in meinem Leben war dann der Moment, als ich beim Einkaufen eine Panikattacke hatte und mir danach noch von meiner Partnerin anhören durfte, was denn jetzt wieder nicht mit mir in Ordnung wäre. Kurz darauf bin ich dann ausgezogen und wieder zu meinen Eltern gezogen. Wir haben es beide für richtig gehalten die Beziehung zu beenden.

Ich musste sehr stark kämpfen um wieder aus den Depressionen rauszukommen. Zu dieser Zeit war ich zum Glück schon seit einigen Monaten in einer Psychotherapie. Bei meinen Eltern ging es mir auch direkt besser, da sehr viel von den Auslösern der Depressionen nicht mehr vorhanden waren. Dafür war dann natürlich Liebeskummer durch eine 3-jährige Beziehung, die zu Brüche gegangen ist, vorhanden. Zudem war ich gerade in der Endphase meine Ausbildung. Ich musste mein Abschlussprojekt schreiben und meine Abschlussprüfungen standen auch an.

Die Depressionen hielten noch einige Monate an. Ich hatte immer wieder Phasen in denen ich nicht in der Lage war zu arbeiten. Trotzdem musste ich irgendwie mein Abschlussprojekt durchführen. Mit sehr viel Mühe wurde das Projekt rechtzeitig fertig. Zur Zeit der Abschlussprüfungen ging es mir auch schon wieder besser und ich hatte es am Ende geschafft meine Ausbildung mit einer zwei als Gesamtnote zu beenden. Darüber bin ich bis heute sehr Stolz. Durch diese Gesamtnote wurde ich zudem von meinem Betrieb übernommen und habe direkt einen Festvertrag erhalten.

Durch diese Zeit habe ich gelernt, dass sowohl gute, als auch schlechte Zeiten zum Leben dazu gehören. Wenn man die schlechten Zeiten übersteht, kann es danach im Endeffekt nur besser werden. Ich bin mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dass alles im Leben irgendeinen Sinn hat. Wenn ich diese schlechten Zeiten nicht erlebt hätte, hätte ich nicht daraus Erfahrungen ziehen können und wäre heute nicht derselbe Mensch. Diese schlechten Zeiten sind ein Teil von mir und ich bin heute viel dankbarer für jeden Tag an dem es mir gut geht.